2023: Zeitenwende für den Schienenverkehr?

Viele offene Baustellen nach Jahrzehnten versäumten Handelns

Deutschland im Krisenmodus: Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, enorme Kostensteigerungen, industrielle Lieferengpässe, Fachkräftemangel: Wie kommt der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) aus dem Krisen- in einen Aufbruchmodus?

„Durch Rettungsschirm und Erhöhung der Regionalisierungsmittel wurde vorübergehend viel abgefedert – das war existenziell für den SPNV und wir danken der Politik für die Unterstützung“, sagte Thomas Prechtl, Präsident des Bundesverbands SchienenNahverkehr (BSN).

Um die Ziele der Bundesregierung gemeinsam mit allen Akteuren bis 2030 zu erreichen, sind jetzt enorme Kräfte zu bündeln: Der Anteil des Güterverkehrs soll auf 25 Prozent erhöht und die Verkehrsleistung im Personenverkehr sogar verdoppelt werden. Um diesen Transformationsprozess starten zu können, braucht die gesamte Branche zeitnah verbindliche Zusagen.

„2023 kann zum Wendepunkt für den Schienenverkehr werden“, führt Prechtl weiter aus. „Voraussetzung dafür ist jedoch, dass auf Bundesebene die richtigen Entscheidungen gefällt und diese auch langfristig mit den notwendigen Finanzmitteln hinterlegt werden.“

Gemeinwohlorientierte Infrastruktursparte richtig gestalten

Die gemeinwohlorientierte Infrastruktursparte der DB muss von Beginn an mit neuer Finanzarchitektur ausgestattet werden, damit ihre Mechanismen greifen können:

  • Die bisher 190 unterschiedlichen Finanzierungstöpfe müssen auf zwei bis drei reduziert werden.
  • Die durch den Infrastrukturbetreiber zu erreichenden Qualitätsziele sind auf Kapazitätssteigerung auszurichten.
  • Im Gegenzug muss die Infrastruktursparte künftig mit einer langfristig planbaren und deutlich besseren Mittelausstattung über einen Infrastrukturfonds verfügen können.
  • Neben Investitionen müssen auch Aufwandspositionen förderfähig werden.

Auf Grundlage einer soliden Finanzierung sind Maßnahmen mit Fokus auf die „Gemeinwohlorientierung“ zu starten. Hochleistungskorridore sind hierfür ein wichtiger Bestandteil. Aber es muss garantiert werden, dass die Instandhaltungs- und Ausbaumaßnahmen im Flächennetz nicht darunter leiden.

„Damit die als Grundlage für Hochleistungskorridore benannten Baumaßnahmen ihren Namen verdienen, muss sichergestellt sein, dass infrastrukturseitig künftig tatsächlich eine deutlich höherwertige Ausstattung eingebaut wird“, erläutert Frank Zerban, Hauptgeschäftsführer des BSN. „Hierzu zählen mehr Weichenverbindungen, geringere Blockabstände bei den Signalen, Beseitigung von Bahnübergängen und vor allem zukunftsfähige, digitale Stellwerke.“

Diese Baumaßnahmen haben Folgen in noch nie dagewesenem Umfang: Auf hochbelasteten Haupt- und deren Umleiterstrecken müssen anstelle des SPNV meist halbjährig Schienenersatzverkehre (SEV) durchgeführt werden. Die dadurch entstehenden Mehrkosten sind als Bau- und Nebenkosten durch das Projekt der Hochleistungskorridore zu tragen.

Kapazität im Bestandsnetz steigern – Digitalisierung vorantreiben

Aus- und Neubau sind wichtige Bestandteile einer nachhaltig gedachten Schienenpolitik. Aufgrund der langen Vorlaufzeiten muss der Fokus unserer Anstrengungen auf der besseren Nutzung des Bestandsnetzes liegen. Hierzu ist die Digitalisierung des Schienennetzes, d. h. Bau von Digitalen Stellwerken und Ausrüstung der Leit- und Sicherungstechnik mit ETCS, zwingend notwendig.

Seit Jahren wird an einem Rollout-Konzept für die Digitale Schiene Deutschland (DSD) gearbeitet. Dieses kann bisher nicht umgesetzt werden, denn immer wieder werden die Schwerpunkte verlagert: Zuletzt haben Hochleistungskorridore Priorität erhalten. Zudem ist die Finanzierung von DSD bislang nicht gesichert.

Der BSN fordert die Politik daher auf, sich eindeutig zur Digitalisierung zu bekennen und die dafür notwendige Finanzierung zu beschließen. Diese muss auch die „rollende Infrastruktur“ in den Fahrzeugen beinhalten, da eine Doppelausrüstung der Fahrzeuge deutlich wirtschaftlicher für den Netzbetreiber ist als eine Doppelausrüstung der Strecke selbst.

„Wir appellieren an den Bund, schnellstmöglich einen Vorschlag für die Förderung von OBU auf den Tisch zu legen, da die dringend notwendige Kapazitätserhöhung im Bestand sich sonst um weitere Jahre verzögern wird.“

Personalknappheit begegnen

Egal, wohin man schaut: Fachkräftemangel beherrscht viele Bereiche des Schienenverkehrs. Beginnend mit Personalen in den Stellwerken über Triebfahrzeugführerinnen und -führer bis hin zu Werkstattpersonalen. Berufe müssen attraktiver gestaltet, Digitalisierung bzw. Automatisierung vorangebracht werden.

Deutschlandticket als Booster

Der BSN freut sich mit den Fahrgästen, dass das Deutschlandticket am 1. Mai startet. Dies wird die Nachfrage im SPNV deutlich erhöhen. Damit dieses einfache und besonderes attraktive tarifliche Angebot auch langfristig von der Bevölkerung angenommen wird, ist darauf zu achten, dass das Fahrplanangebot mindestens gehalten bzw. deutlich verbessert werden kann. Dies dient auch der Erreichung der Klimaschutzziele Deutschlands.

Hierzu müssen sich Bund und Länder auf klare Ziele einigen und die entsprechenden Finanzmittel langfristig bereitstellen.

Chance für Wendezeitpunkt nutzen

Der jüngst veröffentlichte Abschlussbericht der Beschleunigungskommission definiert vielfältige Maßnahmen, die 2023 zum Wendezeitpunkt im Schienenverkehr machen könnten. Nun ist es am Bund, die Finanzierung sicherzustellen, damit die Bahnbranche diese auch umsetzen kann!

Quelle: Bundesverband SchienenNahverkehr

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